Altkirchenslawische Quellen: Der Codex Assemanianus
OCS Sources: Codex Assemanianus; Asemanievo evangelie

Asemanievo (izborno) evangelie; Vatikanski evangeliarij (evangelistar); Vatikansko glagoličesko evangelie; Asemanov evangelistar(ij); Asemanov kodeks (B)


Kurzinfo: glagolitisch; 10.Jh./11.Jh., Ohrider Schule, Aprakos-Evangelium, Vatikan-Bibliothek


Der glagolitisch geschriebene Codex ist das älteste bekannte altbulgarische glagolitische Manuskript. Es wird angenommen, daß es der Originalübersetzung der Bibeltexte von Kyrill und Method noch recht nahesteht. Er ist gleichzeitig das am prächtigsten geschmückte Denkmal des Altkirchenslawischen und zugleich fast vollständig erhalten.

Der Codex besteht aus 158 Pergament-Blättern und enthält im ersten Teil (Blatt 1--112) eine Auswahl aus den Evangelien, in der die Erzählungen so aufeinander folgen, wie sie im Gottesdienst im Laufe des Kirchenjahres gelesen werden (= Aprakos-Evangelium, bulg. izborno evangelie).
Daran schließen sich kalendarische Anmerkungen zu den christlichen Feiertagen (= Menologion, bulg. mesecoslov) an (Blatt 112-153). In ihnen werden die Monate von September bis April noch mit ihren alten slawischen Namen genannt: royen, listogon, groyden, stoyden, prosinec, s
ěčen, soyx, brězen, während die Monate Mai bis August ihre lateinischen Namen tragen.
Den Abschluß bilden einige kürzere Texte mit Instruktionen für den Gottesdienst (Blatt 153--158).

Der Codex ist fast vollständig erhalten: Blatt 1 ist beschädigt und im Laufe der Zeit gedunkelt, es fehlt sonst nur Blatt 49 und das eigentliche Ende des Codexes.

Das Denkmal entstand wohl im westbulgarischen Sprachraum und wird der Ohrider Schule zugerechnet, wo zu diesem Zeitpunkt die Glagolica fest verankert war. Geschrieben wurde es wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 10. Jhs. oder zu Anfang des 11. Jh.
Diese Datierung ergibt sich aufgrund folgender Überlegungen: In seinem kalendarischen Teil (Blatt 151) nennt der Text die Todestage von Kirill und Method sowie Kliment Ohridski (27.7. 916) -- die ersten Nennungen dieser Gedenktage in der slawischen Literatur überhaupt --, erwähnt jedoch den 946 gestorbenen Ivan Rilski nicht. Das läßt auf eine Niederschrift des Protographen, also des unmittelbaren Ursprungstextes, um 920 schließen. Von ihm wurde der Codex Assemanianus wohl nicht später als 980 abgeschrieben, denn vermutlich in diesem Jahr wurde Ivan Rilski heiliggesprochen -- ein Ereignis, das im Text vermutlich berücksichtigt worden wäre.

Aus dem makedonischen Teil Bulgariens wurde es vermutlich während der Erorberung Bulgariens durch den byzantinischen Kaiser Vasilij II. (976--1025), also relativ bald nach seiner Fertigstellung, nach Palästina und dann ins Katharinen-Kloster auf dem Sinai gebracht, wo sich eine größere Zahl südslawischer Mönche niedergelassen hatte. Aus dieser Zeit stammen vermutlich die kyrillischen Anmerkungen, die sich in der Handschrift finden. Daneben finden sich aber auch glagolitische und sogar griechische Notizen.

Seinem Namen trägt der Codex nach seinem Entdecker, dem Orientalisten und Vizepräfekten der Vatikan-Bibliothek, Joseph Asemani (1687--1768), der den Codex 1736 in einem Jerusalemer Kloster (Erzengel- oder Savva-Kloster) von slawisch-griechischen Mönchen privat erwarb. Nach seinem Tode übergab ein Verwandter, der Erzbischof Stefan Asemani, dessen komplette Handschriftensammlung der Vatikanischen Bibliothek, wo sie seitdem aufbewahrt wird. In die Bibliothek ist die Handschrift unter der Signatur "Codex Vaticanus Slavicus 3 Glagoliticus" eingegliedert. Auf Blatt 1 findet sich eine Notiz des Spenders, Stefan Asemani, der die Handschrift hier "Evangelia Illyrice" nennt.

Der Codex war das erste glagolitisch geschriebene Denkmal, das der damaligen Wissenschaft überhaupt bekannt wurde, und zwar zu einer Zeit, als die Glagolica weithin unbekannt war und eher für eine besondere Geheimschrift gehalten wurde. Auf Blatt 2 der Handschrift findet sich eine am 1.7. 1820 angebrachte längere Notiz von Prof. M. Bobrovskij aus Vilnius, der die Bedeutung des Denkmals früh erkannt hatte.

1869-78 wurde die Handschrift restauriert, neu beschnitten und gebunden. Die Blätter haben im Original eine Größe von 22/23 x 16,5/17,5 cm.

Der Codex wurde bereits mehrfach -- und in verschiedener Form -- ediert.
Erstedition glagolitisch: Fr. Ra
čki: Assemanov ili Vatikanski evangelistar. Zagreb 1865. Erstedition lateinisch: Iv. Črnčić: Assemanovo izborno evangjelje. Rim 1878.

Erste kritische Edition (Faksimile s/w und aksl.-kyrill. Transkription):
Evangeliarium Assemani. Codex Vaticanus 3. slavicus glagoliticus. Editio phototypica cum prolegomenis, textu litteris cyrillicis transcriptio, analysi, annotationibus paleographicis, variis lectionibus, glossario. Ediderunt Josef Vajs, Josef Kurc. Tomus I. Pragae 1929. XXXII S. + 159 Tiefdruckbeilagen.
Evangeliarium Assemani. Codex Vaticanus 3. slavicus glagoliticus. Editio phototypica cum prolegomenis, textu litteris cyrillicis transcriptio, analysi, annotationibus paleog
raphicis, variis lectionibus, glossario. Ediderunt Josef Vajs, Josef Kurc. Tomus II. Edidit Josef Kurz. Pragae 1955. 322 Seiten.
Band 1 enthält eine Einleitung sowie die Facsimile-Wiedergabe, Band 2 die kyrillische Transkription samt Kommentar.

Erste farbige Facsimile-Edition: Ivanova-Marodinova, V., Džurova, A.: Asemanievoto evangelie. Starobâlgarski glagoličeski pametnik ot X vek. Hudožestveno-istoričesko proučavane. Sofia: Nauka i izkustvo 1981. Grossformat. 158 Facsimileseiten + Textband 98 Seiten.
Der Faks
imile-Band gibt den Codex Assemanianus in Originalgröße in ausgezeichneter Qualität wieder. Der Textband gibt Informationen zur Geschichte der Handschrift und beschäftigt sich dann ausführlich mit ihrer graphischen Gestaltung und Ausschmückung. Die großformatige Abb. unten stammt aus dieser Edition.

Sekundärliteratur: Die Edition von Ra
čki enthält einen längeren Aufsatz von V. Jagić zu den Besonderheiten des Denkmals.
M.N. Speranskij: "Z
lye dni" v pripiskax Assemanova kodeksa. Makedonski pregled 8, 1932, 42-53, 180-181.
I. Grivec: Dicija Assemanijevega glagoljskega evangelistarja. Slovo 1953, 3, 5-34.
Weitere Literaturhinweise finden sich im Textband der Edition von Ivanova-Marodinova/D
žurova (S. 67f.).

Auszüge aus dem Codex Assemanianus finden sich in folgenden Lehrbüchern:
Stojanov/Janakiev, Sofija 1965, 43-51 (kyrillisch)
P. Diels, II, Heidelberg 1934, 16-18, 22, 23f. (kyrillisch)

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