Musterübersetzung zu H. Trunte, Kirchenslawisch-Lehrbuch
Vorbemerkung: Nachfolgend eine Übersetzung der Lesestücke aus der Konstantins-Vita, wie sie das genannte Lehrbuch präsentiert. Der Haupttext bietet eine flüssige Übersetzung, in eckigen Klammern eine exaktere Übersetzung, die vor allem die Partizipien genauer wiedergibt.
Lektion 2
In der Stadt Solun [in der Solunschen Stadt] war [lebte] ein gewisser Mann, von edler Abstammung und reich, namens Leon, der den Rang eines Drungaren unter dem Strategen innehatte [innehabend den Drungaren-Rang...]. Er war (aber) fromm und achtete alle göttlichen Gebote vollständig [bewahrend...], wie einst Hiob. Er lebte zusammen mit seiner Gattin [Lebend mit ...], und zeugte sieben Kinder, von welchen (aber) das jüngste, siebte, Konstantin der Philosoph war, unser Meister und Lehrer.Lektion 3
Im Alter von sieben Jahren [Sieben Jahre seiend...] hatte [sah] der Junge einen Traum und erzählte ihn seinem Vater und seiner Mutter [... und, erzählend dem Vater und der Mutter, sprach er also]: "Der Stratege versammelte alle Mädchen unserer Stadt [Der Stratege, versammelt habend...] und sprach zu mir: 'Wähle Dir von ihnen die Gefährtin, die Du willst, und zur Hilfe Dir gleichaltrig'. Ich aber beschaute und betrachtete alle [angesehen haben und betrachtet habend alle...] und sah eine, schöner als alle von Antlitz, glänzend und prächtig (sehr) geschmückt mit goldenen Halsketten und Perlen [eigtl. Sg.] und vollständiger Schönheit; sie trug den Namen [welcher aber war der Name] Sofia, d.h. Weisheit. Die wählte ich."
Lektion 4
Als sie diese Worte hörten [Diese Worte gehört habend], sprachen seine Eltern zu ihm: "Sohn, bewahre das Gesetz Deines Vaters und verwirf die Ermahnungen Deiner Mutter nicht, denn das Gebot des Gesetzes ist Leuchter und Licht. Sprich zur Weisheit: Sei mir eine Schwester, und mache Dir die Weisheit zur Vertrauten. Denn die Weisheit leuchtet stärker (mehr) als die Sonne, und wenn Du sie Dir als Gefährtin heimführst [Du sie heimführst, um sie als Gef. zu haben...], so wirst Du durch Sie von vielen Übeln befreit werden."
Lektion 5
Es war aber ein Fremder dort, der die Grammatik kannte [kennend die Gr.]; (und) zu ihm ging er hin [hingegangen seiend...] und bat ihn, indem er ihm zu Füßen [eigtl. Sg.] fiel und sich ihm übergab: "Tue Gutes und lehre mich [Gutes tuend, lehre mich]", sprach er, "die Kunst der Grammatik." Er aber hatte sein Talent begraben [sein T. begraben habend...] und sprach zu ihm: "Jüngling, gib Dir keine Mühe. Ich habe nämlich beschlossen [entsagt], überhaupt niemanden (mehr) hierin in meinen Tagen zu unterrichten." Wiederum aber verneigte sich der Junge vor ihm und sprach unter (mit) Tränen: "Nimm meinen ganzen Anteil am (vom) Haus meines Vaters, der mir zusteht, aber lehre mich." Als jener aber ihn nicht erhören wollte, ging er in sein Haus [gegangen seiend...] und verharrte in Gebeten, damit sich sein Herzenswunsch erfülle [...um den Wunsch seines Herzens zu gewinnen].
Lektion 6
Bald aber erfüllte Gott den Willen derjenigen, die ihn fürchten [der ihn fürchtenden]. Von seiner Schönheit nämlich und der Weisheit und seinem Lerneifer [eifrigen Lernen], die in ihm vermischt waren, hatte der kaiserliche Beamte, der Logothet heißt, gehört [Gehört habend von...] und schickte nach ihm, damit er mit dem Kaiser lerne. Der Junge aber machte sich, als er dies gehört hatte, mit Freude auf den Weg, verneigte sich auf dem Wege und sprach ein Gebet [schuf ein Gebet, indem er sprach]: "Gott unserer Väter und Herr der Gnade, der Du alles mit Deinem Wort erschaffen hast, und der Du in Deiner Weisheit den Menschen erschaffen hast, daß er über die von Dir erschaffenen Geschöpfe herrsche, gibt mir die Weisheit, die um Deinen Thron herum ist [die um Deinen Thron herum seiende Weisheit], damit ich verstehe, was Dir wohlgefällig ist und erlöst werde. Ich nämlich bin Dein Diener und Sohn Deiner Dienerin." Und er fügte noch das restliche Gebet Salomons hinzu [Und zu diesem das übrige Salomonsche Gebet ausgesprochen habend] und sprach "Amen".
Lektion 7
Als er aber nach Konstantinopel [in die Kaiserstadt] gekommen war, übergab man ihn den Lehrern, damit er lerne. Und nachdem er sich in drei Monaten die Grammatik angeeignet hatte, machte er sich an die übrigen Fächer (Lehren). Und er lernte Homer und die Geometrie, und bei Leon und bei Photios Dialektik und alle philosophischen Lehren, dazu auch Rhetorik und Arithmetik, Astronomie und Musik alle übrigen hellenischen (heidnischen) Künste. So eignete er sie sich alle an, als ob er sich eine von ihnen angeeignet hätte, denn die Schnelligkeit verband sich mit Eifer, wobei die eine die andere übertraf; hierdurch nämlich werden Kenntnisse und Künste vollendet. Neben der Lehre zeigte er an sich ein stilles Wesen [offenbarend...], und mit wem auch er sich unterhielt, für die war es nützlich(er); er hielt sich fern von denen, die sich in Verirrungen abwenden, und trachtete und strebte nur danach, wie er die irdischen Dinge mit den himmlischen eintauschen, aus diesem Körper herausfliegen und mit Gott leben könne.
Lektion 8
Als aber der Logothet sah, daß er so beschaffen war [...ihn als einen so seienden sah], gab er ihm Macht über sein ganzes Haus und (gestattete ihm,) den kaiserlichen Palast getrost zu betreten. Und er fragte ihn einmal, indem er sagte [sagend]: "Philosoph, ich möchte gerne wissen, was Philosophie ist." Er aber sagte mit flinkem Verstand: "Verständnis für die göttlichen und menschlichen Dinge, wie sehr sich der Mensch Gott nähern kann, und daß er in der Tat den Menschen lehrt, seinem Schöpfer ähnlich zu sein [dem ihn geschaffen Habenden nach dem Bild und der Ähnlichkeit zu sein]." Hierfür (Deswegen) gewann ihn dieser so bedeutende und ehrsame Mann noch mehr lieb und befragte ihn ständig nach allem, er aber gab ihm philosophischen Rat [schuf ihm philosophische Lehre], wobei er in kleinen Worten großen Verstand zeigte.
Lektion 9
Er verweilte in Reinheit [...verweilend], und je wohlgefälliger er Gott war, desto liebenswerter war er allen. Und der Logothet erwies ihm jede fromme Ehre [...erweisend] und gab ihm viel Gold, er aber nahm es nicht an. Einmal sprach er zu ihm: "Deine Schönheit und Weisheit nötigen mich noch mehr, Dich zu lieben; ich habe da aber eine Adoptivtochter [geistige Tochter], die ich vom Taufbecken angenommen habe, schön, reich und von guter und großer Herkunft. Wenn Du willst, gebe ich sie Dir als Gefährtin. Vom Kaiser hast Du jetzt (schon) große Ehre und eine Präfektur bekommen, und Du kannst noch mehr erwarten [...bekommen habend, erwarte mehr...], denn bald wirst Du auch Stratege sein." Es antwortete ihm der Philosoph: "Das ist ein großes Geschenk für diejenigen, die nach ihm streben, für mich aber gibt es außer der Lehre nichts anderes; wenn ich durch sie Verstand erworben habe [...versammelt habend], will ich die Ehre der Vorväter und ihre Reichtümer suchen." Als der Logothet seine Antwort hörte, ging er zur Kaiserin [gegangen seiend zur ...] und sprach: "Dieser junge Philosoph liebt dieses Leben nicht; aber entlassen wir ihn nicht aus dieser Gesellschaft, sondern scheren wir ihn zum Mönch [...ihn geschoren habend in den Priesterstand] und geben wir ihm das Amt, daß er Bibliothekar beim Patriarchen in der Hagia Sofia wird. Vielleicht können wir ihn wenigstens so halten." Das taten sie (ihm) auch (an). Nachdem er aber nur ganz kurze Zeit bei ihnen geblieben war, ging er zur Meerenge hinauf [...hinaufgegangen seiend] und verbarg sich heimlich in einem Kloster. Sie suchten ihn sechs Monate und fanden ihn nur mit Mühe. Da sie ihn in diesen Dienst nicht nötigen konnten [nicht gekonnt haben...], baten sie ihn, einen Lehrstuhl anzunehmen und Einheimischen und Fremden Philosophie zu lehren mit jeglicher Unterstützung [Dienst] und Hilfe. Und das nahm er an.
Lektion 10
Dem sich an Gott freuenden Philosophen gelang wiederum eine weitere Sache und Mühe, die nicht kleiner war als die ersten. Rastislav nämlich, der mährische Fürst, beriet sich, von Gott ermahnt, mit seinen Fürsten und Mährern [schuf einen Rat...] und schickte zum Kaiser Michael und sagte [...sagend]: "Unsere Leute haben das Heidentum abgelegt und halten sich an das christliche Gesetz [...abgelegt habend und ... halten]; wir haben jedoch keinen solchen Lehrer, der uns in seiner Sprache den wahren christlichen Glauben mitteilen könnte, damit auch andere Länder, die dies sehen, uns gleichkämen. So schicke uns, Herr, einen solchen Bischof und Lehrer; denn von Euch geht allezeit in alle Länder das gute Gesetz aus." Nachdem der Kaiser die Synode einberufen hatte, rief er Konstantin den Philosophen herbei und ließ ihn diese Rede hören und sprach: "Ich weiß, daß Du müde bis [ich weiß Dich müde seienden], aber es ist notwendig, daß Du dorthin gehst [...besteht für Dich die Notwendigkeit, dorthin zu gehen]; denn diese Angelegenheit kann kein anderer erledigen als nur Du." Es antwortete der Philosoph: "Obwohl ich müde bin [müde seiend] und krank am Körper, gehe ich dennoch mit Freude dorthin, wenn sie Buchstaben für ihre Sprache haben." Da sprach der Kaiser zu ihm: "Mein Großvater und mein Vater und viele andere haben danach gesucht und es nicht gefunden; wie kann ich das also finden?" Der Philosoph aber sagte: "Wer kann denn eine Predigt auf das Wasser schreiben und sich einen heretischen Namen erwerben?" Es antwortete ihm wiederum der Kaiser und Vardas, sein Onkel: "Wenn Du willst, dann kann Gott Dir das geben, der auch allen Bittenden ohne Zögern [Zweifel] gibt und den Klopfenden öffnet."
Lektion 11
Der Philosph aber ging hin und verlegte sich nach seiner früheren Gewohnheit aufs Gebot, auch mit anderen Mitarbeitern. Bald aber zeigte sich Gott ihm und erhörte die Gebete seiner Diener, und sogleich stellte er die Buchstaben zusammen und begann, das Evangelium niederzuschreiben: Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort und so weiter. Es freute sich aber der Kaiser, er pries Gott mit seinen Ratgebern und er schickte ihn (d.h. Konstantin) mit vielen Geschenken (los), nachdem er an Rastislav folgendes Sendschreiben verfaßt hatte: "Gott, der will, daß jeder zum rechten Verstand komme und zu einem höheren Rang strebe, hat Deinen Glauben und Dein Bemühen gesehen und hat heute, in unseren Jahren geschaffen, indem er Buchstaben für Eure Sprache offenbarte, was es von alters her nicht gab, sondern nur in den ersten Jahren, daß auch Ihr gerechnet werdet zu den großen Sprachen, die Gott preisen in ihrer eigenen Sprache. Und so haben wir Dir den geschickt, dem Gott sie offenbart hat,einen ehrenwerten und frommen Mann, sehr belesen und Philosoph. Und siehe, nimm ein Geschenk entgegen, größer und kostbarer als jedes Gold, Silber, Edelsteine und vergänglicher Reichtum. Bemühe Dich, mit ihm eilends die Rede [d.h. die slawische Liturgie] zu festigen und mit ganzem Herzen Gott zu suchen, und stoße die gemeinsame Erlösung nicht zurück, sondern treibe alle an, nicht nachlässig zu sein, sondern nach dem rechten Weg zu greifen, damit auch Du, der Du sie durch Deine Anstrengung zum göttlichen Verstand geführt hast, hierfür Deinen Lohn erhältst, sowohl in dieser Welt als auch in der nächsten, für alle Deine Seelen, die an Christus glauben wollen, unseren Gott, von nun an bis in zum Tode (Ende), wobei Du den übrigen ein Andenken an Dich hinterläßt gleich dem großen Konstantin."
Lektion 12
Als er nach Mähren gekommen war, empfing ihn Rastislav mit großer Ehre, versammelte Schüler [versammelt habend...] und übergab sie zum Lernen. Nachdem er in kurzer Zeit die ganze Kirchenordnung übersetzt hatte, lehrte er sie das Morgengebet, die Stundengebete, den Abendgottesdienst, das Komplet und die heilige Liturgie. Und es öffneten sich nach (gemäß) dem Prophetenwort die Ohren der Tauben, die Worte der Schrift zu hören, und die Rede der Stotternden wurde klar. Gott jubilierte darob, und der Teufel wurde beschämt. Als aber die Lehre Gottes wuchs, duldete der böse Neider von Anfang an, der verfluchte Teufel, dieses gute (Werk) nicht, sondern fuhr in seine Gefässe [...hineingegangen seiend] und begann viele aufzustacheln, indem er sprach: "Gott wird hierdurch nicht gepriesen. Wenn es ihm so angenehm wäre, hätte er es dann nicht einrichten können, daß auch diese von Anfang an mit (eigenen) Buchstaben ihre Predigten schrieben und Gott priesen? Er hat aber nur drei Sprachen auserwählt: die hebräische, die griechische und die lateinische, mit welchen es sich ziemt, Gott Lob darzubringen." Es waren aber die, die dies sagten, lateinische Gefährten, Erzpriester, Priester und Schüler. Er [Konstantin] kämpfte mit ihnen [gekämpft habend...] wie David mit den Fremden, besiegte sie mit den Worten der Schrift (gelehrten Worten) und nannte sie Dreisprachler und Pilatianer, weil Pilatus so auf der Inschrift (am Kreuz) des Herrn geschrieben hatte. Sie sagten aber nicht nur dieses, sondern lehrten auch andere Ehrlosigkeit [...]. Alles dies schnitt er wie den Dornstrauch ab und verbrannte es mit dem Feuer der Worte [...]. Nachdem er 40 Monate in Mähren gewirkt hatte, ging er, um seine Schüler weihen zu lassen. Es nahm ihn auf seinem Wege [...nahm den Gehenden...] Kocel, der Fürst von Pannonien, auf; er fand Gefallen an den slawischen Buchstaben, erlernte sie und übergab (Konstantin) 50 Schüler, damit sie sie lernten. Er ließ ihm große Ehre zuteil werden und gab ihm Geleit. Er aber nahm weder von Rastislav noch von Kocel weder Gold noch Silber noch andere Dinge, sondern legte das Wort des Evangeliums auch ohne Lohn (Speise) aus; er erbat sich nur von beiden je 900 Gefangene und lies sie frei.
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Übersetzung: S. Kempgen